Seit Jahrhunderten ist es ein bekanntes Phänomen, dass in menschlichen Populationsgruppen (Krankheits-)Erreger und gegebenenfalls dadurch hervorgerufene Infektionserkrankungen zeitlich und örtlich gehäuft auftreten. Je nach epidemiologischen Rahmenbedingungen kann man dabei von einem endemischen (örtlich begrenzten), epidemischen (seuchenartigen) oder – wie im Falle von COVID-19 – von einem pandemischen (länderübergreifenden) Geschehen sprechen.

Auch unabhängig von der COVID-19-Pandemie steht für stationäre Gesundheitseinrichtungen (z. B. Krankenhäuser oder Rehabilitationskliniken) die krankenhaushygienische Herausforderung durch die Häufung von Erregern im Fokus, insbesondere durch die Verbreitung multiresistenter bakterieller Erreger (MRB). Eine Erregerhäufung (Cluster) stellt alle Beteiligten im Krankenhaus vor enorme Herausforderungen. Es kann zu schwerwiegenden Problemen in der Patientenversorgung kommen, da im Falle einer MRB-Infektion der Verlust der Wirksamkeit von etablierten, gut wirksamen und gut verträglichen antibiotischen Substanzen besteht. Tritt eine Infektion mit einem solchen multiresistenten Erreger auf, geht dies häufig mit einem schlechteren klinischen Outcome und auch erhöhten Kosten für das Gesundheitssystem einher, z. B. aufgrund von benötigten Alternativtherapien oder einer notwendigen Isolierung.

Tritt eine Infektion im Krankenhaus auf, spricht man von einer nosokomialen Infektion. Diese werden in Deutschland mehrheitlich nicht durch MRB ausgelöst. Oftmals handelt es sich bei MRB-Nachweisen lediglich um sogenannte Kolonisationen (Besiedelungen) mit diesen Erregern auf den Schleimhäuten, z. B. im Darm und im Nasen-Rachen-Raum. Diese Besiedelungen werden aufgrund fehlender Symptome nicht immer zeitnah erkannt (was zunächst medizinisch unbedenklich ist) und es kann so zur Ausbreitung von solchen Erregern kommen. Die Besiedelung mit multiresistenten Erregern kann jedoch auch – genauso wie die Besiedelung mit nicht multiresistenten Erregern – in eine behandlungspflichtige Infektion übergehen. 

Smarte Software SmICS hilft an der UMG bei der Verfolgung von SARS-CoV-2-Infektionen. Foto: umg/spförtner

Im HiGHmed-Use Case Infektionskontrolle wird ein digitales System zum frühzeitigen Erkennen von möglichen nosokomialen Übertragungsketten entwickelt und erforscht (Clusterfrüherkennung). Das Ziel ist, die Weiterverbreitung bakterieller Erreger am Beispiel von MRB automatisiert zu erkennen und zu visualisieren. Diese Früherkennung der Übertragungsketten kann dazu führen, dass Ausbrüche vermieden oder zumindest in ihrer Dimension reduziert werden können, indem sehr früh geeignete Interventionen zur Unterbrechung umgesetzt werden können. Dadurch können Patientinnen und Patienten besser geschützt und Infektionen vermieden werden.

Für die Umsetzung einer solchen digitalen Lösung wurde das „Smart Infection Control System“, kurz SmICS, entwickelt. Dieses ermöglicht eine automatisierte, Algorithmen-basierte Erkennung möglicher Erregerhäufungen auf der Basis von in der Versorgungsroutine generierten Daten. Die Fachexpertise entscheidet dann, ob es sich um einen Ausbruch handelt. Die dazu benötigten Daten werden aus den medizinischen Datenintegrationszentren bezogen, die im Rahmen des HiGHmed-Projekts an verschiedenen Standorten deutschlandweit aufgebaut wurden.

„Im Rahmen des HiGHmed Use Case Infektionskontrolle konzentriert sich unser Team darauf, mithilfe des entwickelten Softwaresystems SmICS die Weiterverbreitung von multiresistenten bakteriellen Erregern so früh wie möglich zu erkennen. Im besten Fall können somit Erkrankungen und Ausbrüche vermieden werden. Durch diese technische Unterstützung kann die hohe Expertise des Hygienefachpersonals in den Krankenhäusern vollständig dazu genutzt werden, den SmICS-Warnmeldungen nachzugehen und festzustellen, ob es sich tatsächlich um Alarme handelt, die einer Intervention bedürfen.“

Prof. Dr. med. Simone Scheithauer
Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie, Universitätsmedizin Göttingen

SmICS. Copyright: Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik

Für die Erkennung möglicher Erregerhäufungen sind insbesondere Bewegungsdaten (d. h. Aufenthaltsorte der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus) und die mikrobiologischen Befunde (Nachweis von für Erkrankungen verantwortlichen Bakterien) von entscheidender Relevanz. Durch eine standardisierte Abfrage dieser in den medizinischen Datenintegrationszentren zusammengeführten Datenbestände kann mit Hilfe statischer Analysen sowie maschineller Lernverfahren nachvollzogen werden, in welchem zeitlichen und örtlichen Kontext Erregernachweise und Kontakte zwischen Patienten und Patientinnen auftreten.

Durch die Verwendung eines offenen Standards zur Repräsentation und Speicherung medizinischer Daten (openEHR) wird die Integration von Quelldaten aus diversen, kommerziellen Laborinformationssystemen in eine harmonisierte, standardisierte und über Open-Source-Schnittstellen zugängliche Datenplattform ermöglicht. Aufgrund der Vereinheitlichung der Datenhaltung und der konsequenten Nutzung von standardisierten Abfragemöglichkeiten und Schnittstellen kann die Applikation SmICS ohne wesentliche Modifikationen an allen teilnehmenden Standorten genutzt werden.

Somit können sich entwickelnde Erregerhäufungen lokal und auch standort- bzw. einrichtungsübergreifend erkannt werden. Dies könnte dazu führen, dass in Zukunft die Anzahl der betroffenen Patientinnen und Patienten reduziert wird. Der Einsatz von SmICS könnte zudem dazu führen, dass die Fachexpertise an den Stellen entlastet wird, die die Technik übernehmen kann. Durch die höhere Anzahl der Frühwarnungen wird diese Fachexpertise somit deutlich stärker mit höherwertigen Aufgaben betraut werden. SmICS könnte darüber hinaus einen entscheidenden Beitrag leisten, die Dunkelziffer der bislang nicht erkannten und/oder nicht gemeldeten Erregerhäufungen zu verringern.

Mehr Informationen zum Smart Infection Control System (SmICS):

Zum Artikel unter gesundheitsforschung-bmbf.de

Use-Case-Leitung:

Prof. Dr. med. Simone Scheithauer
Universitätsmedizin Göttingen
Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie
Prof. Dr. med. Dr.-Ing. Michael Marschollek, FIAHSI
Peter L. Reichertz Institut für Medizinische Informatik der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover
Geschäftsführer, Leiter des Standortes Hannover