Nationales Digital Health Symposium mit überzeugender Premiere – Akzeptanz datengetriebener Forschung und digitaler Versorgungsinnovationen im Fokus

15.11.2019. Digitalisierung ist eine große Chance für mehr Patientennutzen durch bessere Information und Forschung, aber auch effizientere Prozesse für das lernende Gesundheitssystem – so lautet die Bilanz der Vertreterinnen und Vertreter der Forschung und Wissenschaft, der Leistungserbringer, gesetzlicher und privater Kostenträger, der Start-Ups und Branchenverbände sowie der Politik und Patientenorganisationen, die am gestrigen Donnerstag zum 1. Nationalen Digital Health Symposium in Berlin zusammengekommen waren. Die seit Wochen ausgebuchte Veranstaltung im Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut stand unter dem Leitmotiv „Apps, Akten und AI: Digitale Gesundheitsinnovationen made in Germany?“ ganz im Zeichen des zuletzt aufgenommenen Tempos der Digitalisierung im Gesundheitssystem.

Blick in das Auditorium des Nationalen Digital Health Symposiums 2019.

Prof. Dr. Dr. Christian Dierks (Dierks+Company) äußerte für die GVG-Facharbeitsgruppe Digitalisierung und eHealth die Erwartung, dass Ärztinnen und Ärzte, wie auch Patientinnen und Patienten nun von den neuen Möglichkeiten des Gesetzes zur digitalen Versorgung Gebrauch machen: „In der Folge kann eine effizientere Datennutzung ganz konkret zur Verbesserung von Versorgung und Forschung beitragen.“ Bund und Länder stehen nach seiner Auffassung aber auch in der Pflicht, einen einheitlichen „Forschungsdatenschutzraum“ zu schaffen und den „Flickenteppich der Bund-Länder-Kompetenzen“ zu überwinden.

Auch TMF-Geschäftsführer Sebastian C. Semler betonte in seinem Eingangsimpuls die gemeinsame Verantwortung aller Akteure: „Die große Resonanz auf unser neues Veranstaltungsformat zeigt, dass wir mit der Vernetzung von Leistungserbringern, Kostenträgern, Patientenvertreterinnen und -vertretern und der medizinischen Forschung einen Nerv getroffen haben. Die jüngste Debatte um die Nutzung von Abrechnungsdaten unseres Gesundheitswesens für die medizinische Forschung hat deutlich gemacht: Neben der Gestaltung eines vertrauensvollen Rechtsrahmens braucht es konkrete Schritte, um auch die notwendige gesellschaftliche Akzeptanz sicherzustellen. Dabei wird der Einbezug von Patientinnen und Patienten in Fragen der Datennutzung und Vorhabenplanung eine wichtige Rolle spielen.“

Bewusst hatten die Veranstalter in Person der Vorsitzenden der BAG Selbsthilfe Hannelore Loskill die Patientenperspektive an den Beginn der Tagung gestellt. „Patientinnen und Patienten müssen sich auf Sicherheit und Nutzen von Apps verlassen können“, so Loskill. Betroffene wollten dabei oftmals mit ihren Daten zur zukünftigen Forschung beitragen, seien aber angesichts aktueller Diskussionen verunsichert. Es bedürfe klarer Vorgaben und der Darstellung der erzielten Ergebnisse, um das notwendige Zutrauen zurückzugewinnen.

Innovationen schneller in die Routineversorgung bringen

Einigkeit unter den Panelgästen herrschte mit Blick auf das Ziel, digitale Innovationen schneller als bislang für Patientinnen und Patienten zugänglich zu machen. Deutlich wurde aber zugleich, dass es dabei keine Abstriche bei Patientensicherheit und Nutzennachweis geben dürfe. Dr. Ing. Wolfgang Lauer vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte betonte, dass alle „Apps auf Rezept“ bereits vor einer Erprobungsphase als Medizinprodukt in Hinblick auf Sicherheit und Funktion zugelassen sein werden. Um insbesondere auch Ärztinnen und Ärzten vor einer Verordnung Entscheidungshilfen an die Hand geben zu können, stellte Dr. Johannes Bittner mit AppQ ein von Bertelsmann-Stiftung erarbeitetes Gütekriterienkernset für digitale Gesundheitsanwendungen vor. Mehr Unterstützung, etwa in Form einer bundesweiten Plattformbildung zum Kompetenzaufbau, wünschten sich laut Prof. Dr. Rainer Röhrig (Uniklinik RWTH Aachen) sowohl Forschende als auch Anbieter digitaler Gesundheitsanwendungen in Hinblick auf die erheblichen Anforderungen aus dem neuen europäischen Medizinprodukterecht, damit Innovationen auch tatsächlich den ersten Gesundheitsmarkt erreichen könnten.

Dr. med. Monika Nothacker von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften betonte die Chancen digitaler Leitlinien als Grundlage für Entscheidungsunterstützung auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis. Marcel Weigand vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. forderte weitergehende Angebote zur Vermittlung digitaler Gesundheitskompetenz für Patientinnen und Patienten. Zugleich warb er dafür, verstärkt nationale Daten für die Versorgungsforschung zu erschließen. Auch Prof. Dr. Jürgen R. Schäfer vom Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen betonte den möglichen Beitrag einer systematischen Sichtung von Abrechnungsdaten in Hinblick auf die Entdeckung von Co-Morbiditäten und individuellen Erkrankungsursachen. Die Medizininformatik-Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung lege dafür durch die deutschlandweite Vernetzung der Routinedaten eine ganz wesentliche Grundlage.

ePA: Forschende wünschen sich internationale Standards und Qualität

Wichtigste Voraussetzung für die zukünftige Entwicklung personalisierter Therapien sei dabei aus Sicht der Expertinnen und Experten die sektorübergreifende Verfügbarkeit einheitlich strukturierter Daten. Eine forschungskompatible ePA 2.0 müsse mehr sein als eine digitale Dokumentenablage. Dies verlange eine neue Kultur der Transparenz und Datenteilung. So schlug Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH (Universitätsmedizin Greifswald) vor, das Modell einer gemeinsamen Arzt-Patienten-Akte auch in Deutschland zu erproben. Aus Österreich brachte Mag. Eva-Maria Pfandlsteiner, LL.M vom Bundessozialministerium die Idee eines „Datencockpits“ als nutzerfreundliche Darstellungsform der elektronischen Akte mit an die Spree. Entscheidend für die Akzeptanz digitaler Angebote sei, so Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bobbert, Mitglied des Vorstandes der Bundesärztekammer, dass die Nutzbarkeit im Praxisalltag von Anfang an mitgedacht werde. Gut gemachte Digitalisierung müsse dazu beitragen, Abläufe effizient zu gestalten und Zeit für die Kernaufgaben der Ärztinnen und Ärzte frei zu machen, so Prof. Dr. Jörg Debatin vom Health Innovation Hub des Bundesministeriums für Gesundheit. gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken sagte zu, bei allen zukünftigen Spezifikationen den Praxisnutzen fest im Blick zu haben und bekräftigte, eine stärkere Rolle in der Koordination der Digitalisierung im Gesundheitswesen ausüben zu wollen. Auch mit Blick auf die Umsetzung einer forschungskompatiblen ePA bis zum Jahr 2025 würde die gematik nur noch international anschlussfähige Standards zur Grundlage der weiteren Entwicklungen machen.

Das lernende Gesundheitssystem im Blick - Paneldiskussion auf dem Nationalen Digital Health Symposium mit v. l. n. r.: Prof. Dr. Jörg Debatin, MBA (Health Innovation Hub), Priv.-Doz. Dr. med. Peter Bobbert (Bundesärztekammer), Prof. Dr. Claudia Schmidtke (MdB, Bundesbeauftragte für die Belange der Patientinnen und Patienten), Prof. Dr. med. Wolfgang Hoffmann, MPH (Universitätsmedizin Greifswald) und Dr. Franz Bartmann (Moderation).

Zum Abschluss schlug die Bundespatientenbeauftragte Prof. Dr. Claudia Schmidtke, MdB, den Bogen zu den Erwartungen der Patientinnen und Patienten: Digitale Innovationen – seien es Patienten-Apps, diagnostische Entscheidungshilfen oder schlicht die Tatsache, dass wichtige Informationen dann tatsächlich verfügbar sind, wenn sie für die Prävention und Therapie benötigt werden – müssten sich an ihrem konkreten Beitrag für eine bessere Behandlung messen lassen.

Für die Veranstalter zog GVG-Geschäftsführer Dr. Sven-Frederik Balders ein positives Resümee: „Am Ende eines Jahres des digitalen Um- und Aufbruchs im deutschen Gesund-heitswesen suchen alle maßgeblichen Akteure den Schulterschluss zur patientenorientierten Gestaltung des digitalen Wandels. Das sind gute Startvoraussetzungen für ein spannendes E-Health-Jahr 2020, das ganz im Zeichen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft stehen wird. Anlass genug, den begonnenen Dialog fortzusetzen und praktisch werden zu lassen.“

 

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