Erfolgreiche Nutzung von Datenintegrationszentren zur Entscheidungsunterstützung bei Blutstrominfektionen

3. April 2025. Forschende der Unikliniken Jena, Aachen, Essen, Halle und Leipzig haben eine App entwickelt, die Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung von Blutstrominfektionen mit Staphylokokken unterstützt. Die App wurde in einer großen prospektiven multizentrischen Studie an fünf Universitätskliniken mit mehr als 5000 Patientinnen und Patienten evaluiert. Die Studie konnte die Sicherheit der App nachweisen und sie könnte gleichzeitig für Kliniken ohne eigene infektiologische Expertise eine Hilfe sein. Die Studie war zudem einer der ersten erfolgreichen Testläufe einer IT-Infrastruktur, die standortübergreifende Forschung mit klinischen Routinedaten ermöglicht.

Hohe Risiken und komplexe Behandlung bei Blutvergiftungen durch Staphylokokken

Staphylokokken spielen eine wesentliche Rolle als Verursacher von Blutstrominfektionen. Besonders gefährlich und mit einer hohen Sterblichkeit verbunden ist das Bakterium Staphylococcus aureus, das sehr schnell und gezielt behandelt werden muss. Weil andere Staphylokokken zur Hautflora gehören, werden auch sie oft in Blutproben gefunden, ohne dass eine Infektion vorliegt. Für eine angemessene Antibiotikabehandlung ziehen Ärztinnen und Ärzte deshalb bei einem positiven Staphylokokkenbefund nach Möglichkeit eine infektiologische Expertise zu Rate. In vielen Kliniken ist diese besondere Expertise jedoch nicht vorhanden.

Das HELP-Manual als digitale Entscheidungshilfe

Die HELP-App des SMITH-Konsortiums ist an fünf beteiligten Unikliniken im Einsatz und hilft, Antibiotika verantwortungsvoll einzusetzen. Foto: privat.
Das HELP-Manual unterstützt Ärztinnen und Ärzte bei der Behandlung von Blutstrominfektionen. Foto: Universitätsklinikum Jena

Um diese Versorgungslücke zu schließen, entwickelte ein Studienteam am Universitätsklinikum Jena gemeinsam mit Partnern aus der Infektiologie und der medizinischen Mikrobiologie aus den Universitätskliniken Aachen, Essen, Halle, und Leipzig das HELP-Manual: eine App in Form eines elektronischen Handbuchs, die Klinikerinnen und Klinikern eine einfache Entscheidungsunterstützung bietet. Es begleitet sie leitliniengerecht durch erste diagnostischen und therapeutischen Schritte bei Verdacht auf Staphylokokken-Infektionen.

HELP-Studie testet Infrastruktur der Medizininformatik-Initiative

„Wir testeten die App dann in einer prospektiven multizentrischen Studie. Das war zugleich ein Testlauf für die vernetzten Datenintegrationszentren, die im Rahmen des SMITH-Konsortiums der Medizininformatik-Initiative an den fünf Standorten etabliert wurden“, so Prof. Dr. André Scherag vom Universitätsklinikum Jena, der Leiter der Studie und 1. Sprecher von SMITH ist. Diese Zentren können Daten aus der elektronischen Patientenakte, zum Beispiel zu Laborbefunden und Therapien, in eine standardisierte Form bringen und für Forschungsprojekte nutzbar machen. Vorgaben für den Datenschutz und die Datensicherheit werden dabei streng beachtet.

Behandlungsergebnisse nicht schlechter

Insgesamt wurden Daten von 5.056 Patientinnen und Patienten auf 134 Intensiv- und Normalstationen an den beteiligten fünf Unikliniken in die Studie eingeschlossen. Das Studienteam führte die Nutzung des HELP-Manuals schrittweise auf den Stationen ein und verglich die Behandlungsergebnisse mit und ohne Manual. „Im Ergebnis war die Sterblichkeit auf Stationen mit HELP-Manual geringfügig niedriger als auf Stationen ohne die App“, sagt Erstautorin Julia Palm. „Für die Langzeitsterblichkeit und das Wiederauftreten von Infektionen sowie für den Antibiotikaeinsatz ließ sich kein Unterschied nachweisen.“

In einer weiteren Erhebung wurden 40 Ärztinnen und Ärzten auf den teilnehmenden Stationen zur Nutzerfreundlichkeit des HELP-Manuals befragt. Etwa die Hälfte gab an, das HELP-Manual genutzt zu haben. Die Mehrheit davon bewertete die App als sehr benutzerfreundlich. Julia Palm: „Die Ergebnisse unserer Studie legen nahe, dass das HELP-Manual besonders in kleineren Krankenhäusern ohne infektiologische Expertise eine wertvolle Unterstützung bieten könnte. Der Nutzen solcher digitalen Systeme hängt aber davon ab, wie gut sie in bestehende Krankenhaus-IT-Strukturen integriert werden können.“

André Scherag ergänzt: „Bei der Durchführung der Studie, die teilweise in die Pandemiezeit fiel, ist noch einmal deutlich geworden, welche Herausforderung die IT-Wirklichkeit in Kliniken und der Status Quo ihrer Digitalisierung für die wissenschaftliche Datennutzung darstellt. Umso wichtiger ist der erbrachte Nachweis, dass die standortübergreifende Harmonisierung und Auswertung der Daten über die Datenintegrationszenten funktioniert. Die Möglichkeit klinischen Routinedaten aus der Krankenversorgung für die Forschung zu nutzen, wird die Durchführung zukünftiger Studien erleichtern. Und die Ergebnisse dieser Studien sind das Fundament einer besseren Krankenversorgung.“

Zur Publikation:

Palm, J., Alaid, S., Ammon, D. et al. Leveraging electronic medical records to evaluate a computerized decision support system for staphylococcus bacteremia. npj Digit. Med. 8, 180 (2025). https://doi.org/10.1038/s41746-025-01569-3

Kontakt:

Prof. Dr. André Scherag
Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwissenschaften, Universitätsklinikum Jena
Andre.Scherag@med.uni-jena.de

Hintergrund:

Das HELP-Projekt wurde vom 01.01.2018 bis zum 30.06.2023 im Rahmen des SMITH-Konsortiums vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Medizininformatik-Initiative – Vernetzen. Forschen. Heilen.

Ziel der Medizininformatik-Initiative (MII) ist es, Routinedaten aus der Patientenversorgung bundesweit digital zu vernetzen und für die medizinische Forschung verfügbar zu machen, um Krankheiten zukünftig schneller und effektiver behandeln zu können. Daran arbeiten alle Einrichtungen der Universitätsmedizin Deutschlands gemeinsam mit weiteren Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Krankenkassen und Patientenvertretern in den vier Konsortien DIFUTURE, HiGHmed, MIRACUM und SMITH. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die MII bis einschließlich 2026 mit insgesamt über 480 Millionen Euro. Für die nationale Abstimmung der MII ist eine Koordinationsstelle zuständig, die die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF) mit dem Medizinischen Fakultätentag (MFT) und dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands e.V. (VUD) in Berlin betreibt.

SMITH-Konsortium – Smart Medical Technology for Healthcare

SMITH ist eines von vier Konsortien der Medizininformatik-Initiative (MII). Ein nationales Netzwerk aus universitären und universitätsmedizinischen Partnern arbeitet in SMITH daran, Forschung und Gesundheitsversorgung zielgerichtet und datenschutzgerecht miteinander zu verknüpfen. Die hierfür an den klinischen Standorten aufgebauten Datenintegrationszentren sind die zentralen technologischen Schnittstellen. Sie bereiten die im klinischen Alltag anfallenden Versorgungsdaten auf und stellen die Daten in standardisierter Form der medizinischen Forschung zur Verfügung. In der Aufbau- und Erweiterungsphase der MII (2018-2022) konnte SMITH sieben Datenintegrationszentren an den universitätsmedizinischen Standorten Aachen, Bonn, Essen, Halle, Hamburg, Jena und Leipzig nachhaltig etablieren. Die Universitätskliniken Düsseldorf und Rostock sowie die Ruhr-Universität Bochum befinden sich aktuell im Aufbau. Die erarbeiteten IT-Lösungen werden anhand klinischer und methodischer Anwendungsfälle erprobt und belegt. SMITH entwickelte in diesem Zusammenhang u. a. mobile Anwendungen auf dem Gebiet der Intensiv- und Infektionsmedizin, die sich im klinischen Einsatz befinden und zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen. Der Förderung der medizininformatischen Lehre wurde durch die Einrichtung von sechs neuen Professuren, fünf Nachwuchsforschergruppen und drei Studiengängen Rechnung getragen. Der Ausbau der übergreifenden Daten-Architektur erfolgt in der aktuellen Förderperiode der MII in enger Kooperation mit dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). SMITH wird in der Ausbau- und Erweiterungsphase (2023-2026) mit über 4 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Universitätsklinikum Jena

Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) ist die einzige Hochschulmedizin Thüringens und mit 7.000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Region. An der Medizinischen Fakultät werden 2.600 Medizin-, Zahnmedizin- und Masterstudierende ausgebildet, Wissenschaftler aus fast 80 Nationen forschen hier an der Weiterentwicklung der Medizin. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Sepsis- und Infektionsforschung, dem Altern und alternsassoziierten Erkrankungen sowie der Medizinischen Optik und Photonik. In den Kliniken und Polikliniken des UKJ werden jährlich 47.000 Patienten stationär versorgt und weit über 500.000 ambulante Behandlungen vorgenommen.

Gemeinsame Pressemitteilung des Universitätsklinikums Jena und der Medizininformatik-Initiative

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Wissenschaftskommunikation
Stabsstelle Unternehmenskommunikation
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Tel.: 03641 / 9 391108, 0152 3218 3216
Uta.von_der_Goenna@med.uni-jena.de