5 Fragen an Roland Ihle und Anja Stempel zum Projektabschluss von HELP

Essen, 18.09.2023. Die Zunahme multiresistenter Keime stellt Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern vor wachsende Herausforderungen. Eine Infektion mit dem Bakterium Staphylococcus aureus beispielsweise endet in vielen Fällen tödlich. Die richtige Antibiotikatherapie kann die Sterblichkeit deutlich senken. Werden Antibiotika jedoch zu häufig oder falsch angewendet, können Krankheitserreger Resistenzen entwickeln. Hier setzte das klinische Projekt HELP an: Mit Hilfe einer App sollte die infektiologische und mikrobiologische Beratung auf den Stationen unterstützt und der Einsatz von Antibiotika optimiert werden. Das HELP-Manual hat als Web-App oder PDF-Download behandelnde Ärztinnen und Ärzte Schritt für Schritt durch die Diagnose und Therapie von Staphylokokken-Blutstrominfektionen geführt. Die Studie zur Nutzung des HELP-Manuals lief von 2020 bis 2022 an den Unikliniken in Aachen, Essen, Halle, Jena und Leipzig. Ende Juni 2023 wurde das Projekt abgeschlossen. HELP ist ein klinischer Anwendungsfall des SMITH-Konsortiums im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII).

Im Interview teilen Roland Ihle, Softwareingenieur im Datenintegrationszentrum der Universitätsmedizin Essen, und Anja Stempel, Studienkoordinatorin der Klinik für Infektiologie an der Universitätsmedizin Essen, ihre Erkenntnisse aus der HELP-Studie. Zudem erklären Sie, welche Aspekte bei der nahtlosen Integration von IT-Lösungen in den klinischen Alltag berücksichtigt werden müssen.

5 Fragen an Ihle Stempel HELP
© diz.ikim.nrw | Universitätsmedizin Essen

Herr Ihle, Sie haben bei der technischen Bereitstellung des HELP-Manuals mitgewirkt. Das Manual unterstützt Ärztinnen und Ärzte bei der verantwortungsvollen Antibiotikatherapie bei Staphylokokken-Blutstrominfektionen. Welche technischen Herausforderungen haben Sie dabei bewältigt?

Roland Ihle: Die technische Umsetzung umfasste drei Aufgaben: Als Erstes haben wir in Zusammenarbeit mit dem Team der Mikrobiologie die Ärztinnen und Ärzte darüber informiert, dass es überhaupt ein HELP-Manual gibt. Für die technische Implementierung haben wir auf dem Mikrobiologie-Befund einen Link integriert, den die Ärztinnen und Ärzte anklicken konnten, um dem HELP-Manual zu folgen. Zweitens haben wir die Study Nurses täglich per E-Mail über die konkreten Patientinnen und Patienten informiert, bei denen ein Verdacht auf eine Staphylokokken-Infektion bestand. Diese Patientinnen und Patienten waren potenziell für die Studie geeignet. Der dritte und letzte Teil war das Spannendste an dem ganzen Projekt: die Auswertung der Daten. Über ein elektronisches Erfassungssystem namens RedCap haben die Study Nurses die Daten der betroffenen Patientinnen und Patienten eingetragen. Die Daten aus den Fragebögen, wie beispielsweise Informationen zu Infektionsart oder Medikation, mussten mit den Patientendaten zusammengeführt werden, die in unseren primären Quellsystemen schon vorhanden waren. Um sicherzustellen, dass die Auswertungsskripte an allen Standorten einheitlich funktionierten, war es erforderlich, die Daten an jedem Standort in ein einheitliches Format zu überführen. In der MII wird dieser Prozess unter dem Begriff „Interoperabilität“ zusammengefasst. Diese zu erreichen war das Ziel: zu zeigen, dass wir die Daten so homogenisieren und strukturieren können, dass sie an jedem Uniklinikum einheitlich vorliegen. Die Tatsache, dass dies im Gesundheitswesen nicht bereits der Fall ist, stellt gegenwärtig eine erhebliche Herausforderung dar.

Das HELP-Manual wurde an fünf universitätsmedizinischen Standorten von 2020 bis 2022 im Rahmen einer Studie getestet. Worauf ist bei der Implementierung der App von klinischer Seite zu achten?

Anja Stempel: Das HELP-Manual ist am Universitätsklinikum Essen gut aufgenommen worden, weil wir natürlich auch gut geschult haben. Wir sind kurz vor der Freischaltung zu jeder Station gegangen und haben die Ärztinnen und Ärzte darüber aufgeklärt, was dieser Link auf dem Mikrobiologie-Befund bedeutet. Außerdem haben wir über viele unterschiedliche Kanäle kommuniziert, dass es das HELP-Manual gibt, zum Beispiel über den klinikinternen Newsletter, mit Flyern und einer Präsentation. Immer wieder haben wir auf den Stationen angerufen, um mögliche Schwierigkeiten zu klären. Wenn viele Ärztinnen und Ärzte in eine Rotation gehen und wechseln, wie es gerade in so einem großen Klinikum wie dem Universitätsklinikum Essen üblich ist, ist es manchmal schwierig, jede Ärztin und jeden Arzt zu schulen. Ich glaube die größte Herausforderung war, alle Ärztinnen und Ärzte mit ins Boot zu holen. Die Anwendung des Manuals war letztlich freiwillig. Wir hatten nie einen Einfluss darauf, ob Ärztinnen und Ärzte auch wirklich auf diesen Link klicken.

Wie war das Feedback von den Klinikerinnen und Klinikern zur Nutzung des HELP-Manuals?

Anja Stempel: Wir haben einige gute Rückmeldungen bekommen. Am Universitätsklinikum Essen sind wir allerdings nicht auf das Manual angewiesen, da über den Antibiotika-Beratungsservice und die infektiologischen Konsile eine Beratung gewährleistet wird. Aber wir finden ganz klar, dass das HELP-Manual gerade für kleinere Krankenhäuser ohne Mikrobiologie oder Infektiologie eine große Hilfe sein kann. So kann eine falsche Therapie oder eine Antibiotikaverschwendung verhindert werden. Aber auch an größeren Kliniken würde es das Leben einfacher machen, denn dann müsste nicht immer sofort ein Konsil mit den Kolleginnen und Kollegen der Infektiologie oder Mikrobiologie ausgelöst werden.

Was haben Sie beide aus dem Projekt gelernt?

Anja Stempel: Dass es schwierig ist, so ein Projekt überall in Deutschland durch die Ethikkommission zu bekommen. Jeder Standort war dabei auf einem ganz anderen Stand und es hinkte an manchen Stellen. Das hat sich jetzt im Jahr 2023 zum Glück gelöst. Ich habe auch gelernt, dass jedes Universitätsklinikum anders arbeitet und zum Beispiel unterschiedliche Software nutzt. Das war für uns nicht immer einfach. Auch wenn wir Hürden hatten, im Großen und Ganzen hat es sehr viel Spaß gemacht mitzuwirken. Ich hoffe für die Zukunft, dass wir die Antibiotikatherapien verringern können und übermäßiger Gebrauch von Antibiotika verhindert wird.

Roland Ihle: Ich habe mit dem Klinikalltag gar nichts zu tun und habe auch keine Ahnung von Medizin, aber technisch war das natürlich sehr spannend. Es war für mich das erste Projekt, in dem ich eine Studie begleiten durfte. Dabei habe ich viel über FHIR, die Datenstrukturen und das RedCap-System gelernt, mit dem ich vorher noch nie gearbeitet habe. Was in dem Projekt gemacht wurde, war alles neu und deshalb sehr interessant für mich.

Beenden Sie folgenden Satz: An meiner Mitarbeit im SMITH-Projekt habe ich besonders geschätzt…

Anja Stempel: …die Zusammenarbeit mit der IT. Das kenne ich so nicht, es war wirklich ein tolles Zusammenspiel und hat mir persönlich sehr viel gebracht. Sehr geschätzt habe ich generell das Team des SMITH-HELP-Projekts, den Zusammenhalt, die Positivität und wie wir die Hürden gemeinsam gemeistert haben.

Roland Ihle: …die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wir als Mitarbeitende im Datenintegrationszentrum kommen selten aus der eigenen Abteilung heraus. Es war deshalb mal schön, viel mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Infektiologie zusammengearbeitet zu haben. So haben wir auch etwas vom klinischen Alltag gesehen. Wir haben aber mitbekommen, wo etwas nicht so gut funktioniert und wo wir technische Lösungen bereitstellen könnten. Gleichzeitig lief die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen der anderen Standorte sehr gut. Es war schön zu sehen, wie die anderen Standorte arbeiten und wie es dort in der IT aussieht. Das ist eigentlich das, was am Ende zählt, dass wir uns mit den anderen Standorten vernetzen.

 

Das Interview wurde vom SMITH-Konsortium geführt.