MII-Initiative

MII PRO v2026 DE

Workflows


Auf Grundlage der Anwendungsszenarien und den dort abgeleiteten Anforderungen (siehe Beschreibung von Anwendungsfällen) lassen sich Implementierungsansätze ableiten. Im Nachfolgenden werden diese Implementierungsansätze in Form von abstrahierten Workflows, die den Charakter einer Musterlösung aufweisen, näher vorgestellt. Die Grundlage für die Definition eines Workflows bilden die sogenannten Capabilities.

Capabilities

Anhand der Anwendungsszenarien wird deutlich, dass Fragebögen auf verschiedene Arten und Weisen erhoben, verarbeitet und angezeigt sowie zu verschiedenen Zwecken verwendet werden können.

Das Modul muss also die übergeordnete Anforderung erfüllen, Fragebögen möglichst flexibel für unterschiedliche Zwecken, bei gleichzeitiger Wahrung der semantischen Konsistenz und über verschiedene Anwendungsfälle hinweg, bereitzustellen. Um diese Anforderung zu erfüllen, muss zusätzlich zur Definition eines standardisierten Fragebogens spezifiziert werden, zu welchem Zweck dieser einsetzt werden soll, besser, durch die Unterstützung welcher Fähigkeiten der intendierte Zweck erfüllt wird.

Deshalb wurden folgende Fähigkeiten (Capabilities), die zur Definition eines Fragebogens hinzugezogen werden können und beliebig kombinierbar sind, festgelegt:

  • collectable (erfassbar): Wie Daten von Nutzern eingegeben werden
  • populatable (vorausfüllbar): Wie existierende Daten geladen werden
  • calculatable (berechenbar): Wie Scores aus Daten berechnet werden
  • displayable (anzeigbar): Wie Daten/Ergebnisse dargestellt werden
  • extractable (extrahierbar): Wie Daten aus dem Fragebogenformat in andere FHIR-Ressourcen überführt werden

Workflow-Patterns

Standard Workflow

Der Standard-Workflow orientiert sich an der FHIR-Kernspezifikation und den vorgesehen FHIR Ressourcen zur Definition von Fragebögen, zur Abbildung von Antwortbögen sowie zur Extraktion erhobener Antworten als weiterverarbeitbare Wertangabe.

Ablauf:

  1. Üblicherweise füllt ein Patient einen Fragebogen, der als FHIR Questionnaire (Q) definiert ist und über ein User Interface (UI) angezeigt wird, aus
  2. Die eingegebenen Antworten werden danach als FHIR QuestionnaireResponse (QR) gespeichert, wenn vorgesehen ein Score ermittelt
MII PRO Workflow-Pattern: Standard

Verwendete Capabilities: displayable, collectable

Beispiel: Erhebung von Symptomschwere mit EORTC-QLQ-Fragebögen begleitend zu und folgend auf eine/r Strahlentherapie/Systemtherapie-Behandlung in der Onkologie


Workflow-Pattern 1: Direkte Erfassung mit Echtzeit-Berechnung

Dieses Workflow-Pattern fokussiert eine direkte, d.h. nicht zeitversetzte, Beantwortung eines Fragebogens über ein User Interface (UI) und einer Score-Berechnung in nach erfolgter Eingabe der Antworten.

Ablauf:

  1. Ein Patient füllt einen Fragebogen über ein UI aus, in dem er die enthaltenen Fragen beantwortet
  2. Anhand der Antworten und der definierten Score-Berechnungsvorschrift wird der Score in Echtzeit berechnet
  3. Optional werden die Antworten und der berechnete Score auf einem Server, z.B. FHIR Server, für die Weiterverarbeitung gespeichert
  4. Der berechnete Score wird dem Patienten sofort im UI angezeigt
MII PRO Workflow-Pattern: Capability-basierte Variante, Echtzeit-Berechnung

Verwendete Capabilities: [collectable, calculatable, displayable, extractable]

Beispiel: DiGA-Smartphone-App mit In-App-Scoreberechnung


Workflow-Pattern 2: Mobile Erfassung mit Server-Berechnung

Dieses Workflow-Pattern fokussiert die alleinige Beantwortung eines Fragebogens über ein User Interface auf Clienseite und einer anschließenden Score-Berechnung und Speicherung auf Serverseite.

Ablauf:

  1. Ein Patient füllt einen Fragebogen, z.B. über eine Mobile App, aus, in dem er die enthaltenen Fragen beantwortet
  2. Anschließend werdern die Antworten, ggf. eine Information zum ausgefüllten Fragebogen, an den Server gesendet
  3. Der Server berechnet anhand der definierten Score-Berechnungsvorschrift den Score und extrahiert ggf. relevante Antworten als eigenständiges Datum
  4. Die berechneten und extrahierten Daten werden z.B. in einem FHIR Server gespeichert
MII PRO Workflow-Pattern: Capability-basierte Variante, Server-Berechnung

Verwendete Capabilities:

  • Client (Mobile App): [collectable]
  • Server (Server): [populatable, calculatable, extractable]

Beispiel: Leichtgewichtige mobile PRO-App


Workflow-Pattern 3: Historische Neuberechnung

Dieses Workflow-Pattern beschreibt die erneute, ggf. über einen Dienst automatisiert ausgeführte, Score-Berechnung ohne weitere Nutzerinteraktion.

Ablauf:

  1. Die bereits in der Vergangenheit erfassten Antworten zu einem Fragebogen werden einem Dienst bereitgestellt
  2. Der Dienst lädt den zugrunde liegenden Fragebogen und lädt die Score-Berechnungsvorschriften
  3. Der Dienst berechnet anhand der neuen Score-Berechnungsvorschrift den Score
  4. Die berechneten und extrahierten Daten werden z.B. in einem FHIR Server gespeichert
MII PRO Workflow-Pattern: Capability-basierte Variante, Historische Neuberechnung

Verwendete Capabilities: [populatable, calculatable, extractable]

Beispiel: Migration auf neue Scoring-Algorithmen oder Datenharmonisierung


Workflow-Pattern 4: Klinische Ergebnisansicht

Im Zusammenhang mit der Versorgung eines Patienten oder der Analyse von Kohortendaten erfolgt eine Einsicht einzelner oder aggregierter Datensätze ohne Neuberechnung.

Ablauf:

  1. Berechtiger Nutzer mit lesender Zugriffsberechtigung selektiert Daten
  2. Die vorhandenen Daten, bestehend aus Antworten und zugehörigen gespeicherten Scores, werden angezeigt

Verwendete Capabilities: [populatable, displayable]

Beispiel: Arzt-Dashboard im KIS


Workflow-Pattern 5: Reine Datenerfassung

Im Zusammenhang mit der Versorgung eines Patienten findet eine reine Datenerfassung ohne Berechnungen, z.B. nachträgliche Transkription, statt.

Ablauf:

  1. Berechtiger Nutzer (z.B. medizinische Fachkraft) erfasst die Antworten zu einem Fragebogen
  2. Antworten werden in FHIR-konformer Zielstruktur, z.B. als FHIR QuestionnaireResponse, gespeichert
  3. Optional findet ein nachgelagertes Scoring, z.B. durch externe Dienste, statt

Verwendete Capabilities: [collectable, extractable]

Beispiel: Papier-zu-Digital-Erfassung


Score-Repräsentation

Anhand der verschiedenen Workflow-Pattern wird ersichtlich, dass unterschiedliche Repräsentationsformen für die Darstellung eines Scores gibt.

MII PRO Workflow-Pattern: Score Repräsentationsebenen

Die grundlegende Repräsentationsform für einen berechneten Score ist die Abbildung als eigenständiges Item in einem FHIR QuestionnaireResponse. Falls für die weiterführenden Analysen nur der Score und nicht die tatsächlichen Antworten relevant sind, lässt sich der berechnete Score aus dem FHIR QuestionnaireResponse extrahieren und als FHIR Observation darstellen. Ein auf diese Weise extrahierter und gespeicherter Score kann, sofern empirisch validierte Regeln zum Mapping auf einen domänenspezifischen T-Score existieren und definiert wurden, auf den domänenspezifiscne T-Score abbilden.

MII PRO Domain Mapping-Patterns

Auf diese Weise kann eine Instrument-unabhängige Auswertung und ein domänenspzifischer Vergleich der erhobenen Daten durchgeführt werden.


Implementierungsmuster

Calculated Expressions

Scores werden mittels FHIRPath-Expressions berechnet:

// Einfache Summe
%resource.item.answer.value.ordinal().sum()

// Gewichtete Summe mit Selektion
%resource.item.where(linkId.matches('^item-[1-9]$')).answer.value.ordinal().sum()

// Mit Variablen für komplexe Berechnungen
%rawScore = %resource.item.answer.value.ordinal().sum()
iif(%rawScore < 5, 'minimal', iif(%rawScore < 10, 'mild', 'moderate'))

Initial Expressions für Populatable

Vorausfüllung aus existierenden Daten:

// Einzelnes Item
iif(%sourceResponse.exists(), %sourceResponse.item.where(linkId='q1').answer.value, {})

// Mit Fallback
%sourceResponse.item.where(linkId='q1').answer.value | {}

Extraction zu Observations

Die Transformation erfolgt über SDC-Extraction-Extensions oder server-seitige Logik:

* item.extension[observationExtract] = true
* item.code = $LNC#44261-6 "PHQ-9 total score"

Best Practices

Capability-Auswahl

Die Auswahl der Capabilities sollte sich nach dem Anwendungsfall richten:

  • Patientenportale: [collectable, calculatable, displayable]
  • Mobile Apps: Nur [collectable] (minimaler Footprint)
  • Server-Systeme: [populatable, calculatable, extractable]
  • Reporting-Systeme: Nur [displayable]

Performance-Überlegungen

  • Berechnungen in der UI nur bei kleinen Fragebögen
  • Server-seitige Berechnung für komplexe Scores
  • Caching von ObservationDefinitions
  • Batch-Processing für historische Daten

Fehlerbehandlung

  • Validierung aller Pflichtfelder vor Score-Berechnung
  • Klare Fehlermeldungen bei ungültigen Werten
  • Fallback-Strategien für fehlende Capabilities
  • Logging von Mapping-Fehlern