Anlässlich des Weltfrauentags am 08.03.2022 sprechen Expertinnen aus den Konsortien der Medizininformatik-Initiative über Diversität und Gleichberechtigung in der Medizininformatik:
Dr. Anke Diehl, Prof. Dr. Dagmar Krefting und Romina Blasini.

5 Fragen an Dr. Anke Diehl

Dr. med. Anke Diehl leitet die Stabsstelle Digitale Transformation und ist Chief Transformation Officerin der Universitätsmedizin Essen (UME), einer der 19 Partner im SMITH-Konsortium.
Sie engagiert sich speziell für die Digitalisierung in der medizinischen Versorgung und ist dafür erst kürzlich mit dem German Medical Award als „Medizinerin des Jahres 2021“ ausgezeichnet worden. Dr. Diehl setzt sich unter anderem für die Verbesserung der Patientenversorgung mittels Künstlicher Intelligenz ein und treibt das Thema „Smart Hospital“ maßgeblich mit voran. Darüber hinaus ist sie seit Ende letzten Jahres Mitglied im nationalen Expertengremium für Interoperabilität, dem „Interop Council“.

Das Motto des diesjährigen Weltfrauentags ist „Break the Bias“. Welche Bedeutung hat dieses Motto für Ihren Themenbereich?

In der Medizin und speziell bei der Digitalisierung in der Medizin spielen verschiedene Arten von Bias eine große Rolle. Das Geschlecht ist dabei sicherlich eines der wichtigsten Beispiele: Allein medizinisch gibt es wesentliche Unterschiede zwischen den biologischen Geschlechtern, wodurch z. B. Medikamente anders wirken können. Das wird in klinischen Studien aber zum Teil noch nicht ausreichend berücksichtigt. Aber auch auf Seite der Entwicklerinnen und Entwickler von digitaler Medizin bzw. von Künstlicher Intelligenz (KI) gibt es ein großes Ungleichgewicht zugunsten von männlichen Entwicklern. Dadurch kann natürlich auch ein Bias entstehen und diesen zu entdecken bzw. gar nicht erst entstehen zu lassen, ist sehr wichtig.

Man bräuchte also mehr Frauen bzw. mehr Diversität in medizininformatischen Berufen?

Ja, genau – Diversität spielt nicht nur zur Vermeidung von Bias in der digitalen Medizin eine wichtige Rolle. Es ist sehr wichtig, Diversität in jeglicher Form bewusst und frühzeitig mitzudenken, speziell bei der Entwicklung von technischen Lösungen. Interdisziplinäres Arbeiten auf Augenhöhe, die Integration von den verschiedenen Blickwinkeln und lösungsorientierte Diskussionen erfordern gewisse Soft Skills. Hier sind gemäß Studien aus der soziologischen und psychologischen Forschung Frauen durchaus im Vorteil. Hier können wir in der Medizin bzw. in der Medizininformatik auch von anderen Beispielen der digitalen Transformation und den entsprechenden Work Skills 4.0 lernen. Der „Collective Genius“ erfordert Diversität und mehr Frauen in der digitalen Medizin.

Was unternehmen Sie aktiv, um die Themen Diversität, Collective Genius und Bias-Vermeidung speziell im Bereich der digitalen Medizin voranzutreiben?

Auf der einen Seite ist es mir wichtig, auf diese Themen auf höchster Ebene aufmerksam zu machen. So habe ich erst kürzlich zusammen mit exzellenten Fachkolleginnen ud -kollegen einen offenen Brief an die Bundesministerien für Gesundheit sowie für Bildung und Forschung formuliert, der auf die Wichtigkeit der geschlechterdifferenzierten Gesundheitsforschung auf nationaler Ebene hinweist. Andererseits ist es gerade für die Ausbildung ein wichtiges Thema: Im Wahlfach Gendermedizin halte ich beispielsweise eine Vorlesung zu Digitalisierung und KI und wir planen gerade eine Reihe von Workshops zu dem Thema. Bei den Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern kommt das super an – sie fühlen sich direkt angesprochen. Zuletzt müssen wir auch die entsprechenden Vorbilder schaffen und das auch publik machen. So sind beispielsweise vier von sieben Mitgliedern des Interop Councils – inklusive dessen Leiterin – Frauen.

Was möchten Sie jungen Talenten raten?

Die Zeit der Digitalisierung und des Einsatzes von intelligenten Systemen in der Medizin hat gerade erst begonnen, hier liegt also noch ein unglaubliches Potential, sich zu engagieren. Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler und junge Talente haben an der Schnittstelle zwischen Medizin, Psychologie, Informatik und Mathematik große Chancen sich einzubringen und aktiv etwas zu bewegen und dies nicht nur in der Theorie, sondern auch in der medizinischen Versorgungspraxis! Es gibt so viele tolle Projekte und Initiativen, die eine Kombination von Digitalisierung, Medizininformatik, KI mit Patientenversorgung ermöglichen. Das ist spannend, sehr befriedigend und ein absolut krisenfestes, zukunftssicheres Arbeitsumfeld mit Innovationspotential.

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Interoperabilität eines der essentiellen Kernpunkte bei der Digitalisierung in der Medizin sowie insgesamt beim Thema Smart Hospital darstellt.

5 Fragen an Prof. Dr. Dagmar Krefting

Prof. Dr. Dagmar Krefting – Physikerin und Medizininformatikerin – ist Direktorin am Institut für Medizinische Informatik der Universitätsmedizin Göttingen, einer der Gründungsstandorte des HiGHmed-Konsortiums der Medizininformatik-Initiative (MII).
Innerhalb von HiGHmed leitet Prof. Krefting nicht nur den Use Case Kardiologie, der die Versorgungsmöglichkeiten und die Lebensqualität von über drei Millionen Patientinnen und Patienten mit oft chronischer Herzinsuffizienz in Deutschland nachhaltig verbessern will. Sie ist außerdem leitende Projektkoordinatorin des Projekts HiGHmed-Lehre, das Lernmodule entwickelt und implementiert, um sicherzustellen, dass die nächste Generation von Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern bestens qualifiziert und ausgebildet ist, um die aufkommenden Innovationen im medizinischen Datenmanagement zu bewältigen.
Darüber hinaus ist sie die leitende Koordinatorin des Digitalen FortschrittsHubs CAEHR, der eine bessere Gesundheitsversorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankten durch eine optimierte Gesundheitskommunikation und die zeitnahe Bereitstellung von relevanten Gesundheitsinformationen zum Ziel hat.

Wie sind Sie zur Medizininformatik gekommen?

In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit nichtlinearer Dynamik und Ultraschallreinigungswannen beschäftigt. Aus persönlichen Gründen bin ich dann nach Berlin gezogen. Dort war eine Habilitationsstelle zur Medizinischen Bildverarbeitung an der Charité im Institut für Medizinische Informatik ausgeschrieben. Ich habe mich darauf beworben, weil ich bereits viel Bildverarbeitung gemacht hatte, und die Stelle bekommen. Kurz vor der Habilitation habe ich dann den Ruf an die HTW Berlin im Studiengang Informatik und Wirtschaft angenommen und dort fast zehn Jahre in der Kerninformatik gelehrt, aber weiter in der Medizininformatik geforscht. In Göttingen habe ich zunächst zwei Jahre das Institut kommissarisch geleitet und bin nun seit einem halben Jahr Direktorin und Lehrstuhlinhaberin.

Vor welchen Herausforderungen stehen Ihrer Ansicht nach Frauen in der Medizininformatik?

Hier sind Frauen den gleichen gesellschaftlichen Mechanismen ausgesetzt, die Frauen in der Informatik auch im 21. Jahrhundert noch strukturell benachteiligen: Zuschreibung von genderspezifischen Fähigkeiten bereits im frühen Kindesalter, die sich in der Identitätsfindung in der Pubertät oft noch verstärken und viele junge Frauen immer noch entmutigen, sich für Informatik zu interessieren. Gesellschaftliche Normalität ist Genderparität in der Medizinischen Informatik noch lange nicht. Die Besetzung der neu geschaffenen Medizininformatikprofessuren ist zu 85 Prozent mit männlichen Kollegen erfolgt. Frauen werden also noch mindestens eine Generation in den akademischen Führungspositionen eine kleine Minderheit bleiben, wenn wir hier nicht aktiv gegensteuern.  

Was muss sich verändern, damit mehr Frauen in medizininformatische Berufe kommen?

Aktiv Mädchen und Frauen für das Fach begeistern und fördern, Rolemodels und Möglichkeiten für Quereinsteigerinnen schaffen, gendergerechte berufliche Fort- und Weiterbildungsoptionen anbieten und spezielle Förderprogramme für die wissenschaftliche Karriere aufsetzen. Auch viele Kollegen haben ja erstmal Medizin studiert und dort ihr Interesse für Informatik entdeckt und weiter ausgebaut. Es wäre wichtig zu schauen, wie viele Medizinerinnen die ärztliche Zusatzbezeichnung „Medizinische Informatik“ in den letzten Jahren erworben haben und welche Mechanismen dazu geführt haben, dass auf die neu geschaffenen Professuren fast ausschließlich Männer berufen wurden. Dort müssen wir dann ansetzen und explizit gendergerechte Karrierewege entwickeln.

Was möchten Sie Frauen mitgeben, die in die Medizininformatik einsteigen möchten?

Tu es! Es ist ein toller interdisziplinärer Bereich, in dem alle Arten von Fähigkeiten und Talenten gleichermaßen benötigt werden, unabhängig von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen. Digitalisierung im Gesundheitswesen ist vielfältig und wie überall gilt, dass der Prozess von einer breiten Beteiligung der Gesellschaft gestaltet werden muss, damit sich die Vielfalt auch in den Anforderungen und der Umsetzung wiederfindet. Die Medizininformatik spielt hier eine wesentliche Rolle, die aktive Mitgestaltung an einer der wichtigsten digitalen Transformationen ist implizit. Der Fachkräftemangel ist enorm und die Berufsaussichten sind exzellent. Ob Quereinsteigerin oder Medizininformatikerin – in Frauennetzwerken wie z.B. shehealth oder medF3 triffst du auf Gleichgesinnte.

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ich hier die digitale Transformation des Gesundheitswesens hin zu einer besseren Gesundheitsversorgung aktiv mitgestalten kann.

5 Fragen an Romina Blasini

Seit Februar 2018 ist Romina Blasini im MIRACUM-Projekt der Medizininformatik-Initiative tätig, zunächst parallel zum Masterstudium der Medizinischen Informatik an der Technischen Hochschule Mittelhessen, das sie 2019 abschloss. Von Beginn an lagen ihre Aufgaben im Bereich der computergestützten Patientenrekrutierung für klinische Studien und dessen Umsetzung an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Auch standortübergreifend beteiligt sie sich an den Entwicklungen des Use Case 1 in MIRACUM und leitet diesen seit Anfang 2022.

Wie sind Sie zur Medizininformatik gekommen?

Das Gebiet der Gesundheit und Medizin hat mich schon länger interessiert, weshalb ich ein berufsbezogenes Abitur mit Schwerpunkt auf Gesundheit gewählt habe. Die Informatik habe ich dann ganz klassisch während der Recherche zur Studienwahl für mich entdeckt und Medizininformatik als perfekte Mischung aus beidem angesehen.

Vor welchen Herausforderungen stehen Ihrer Ansicht nach Frauen in der Medizininformatik?

Wir Frauen werden gerade in technischen Berufen häufig einfach unterschätzt. Wenn es um eine technische Frage geht, wird von vielen erstmal ein Mann angesprochen. Hier muss man etwas mehr arbeiten, um zu Wort zu kommen und als genauso kompetent angesehen zu werden. Genau das können aber viele Frauen nicht so gut: Ihren eigenen Wert erkennen und auch dafür einstehen.

Was muss sich verändern, damit mehr Frauen in medizininformatische Berufe kommen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Vermutlich ist eine gesellschaftliche Veränderung notwendig, damit sich die ungleiche Verteilung von Geschlechtern in den verschiedenen Arbeitsgebieten annähert. In meinem Umfeld beobachte ich gar nicht so sehr das Problem, dass keine Frauen nachkommen – die Quote ist da bei uns ziemlich ausgeglichen. In höheren Positionen ist das wiederum nicht der Fall. Also sollten meiner Meinung nach Frauen Unterstützung bekommen bei dem Aufstieg auf der Karriereleiter.

Was möchten Sie Frauen mitgeben, die in die Medizininformatik einsteigen möchten?

Wenn es einmal schwierig werden sollte, behaltet im Hinterkopf, dass es euren männlichen Kollegen höchstwahrscheinlich genauso schwerfällt. Man sollte seine Schwächen kennen, aber nicht den Fokus darauf legen. Lernt stattdessen euren eigenen Wert realistisch und im Kontext eures Umfeldes einzuschätzen. Nur wer sich selbst und sein Können respektiert, kann auch von anderen diesen Respekt erwarten.

Bitte beenden Sie folgenden Satz: Die Mitarbeit im MIRACUM-Konsortium der Medizininformatik-Initiative ist für mich wichtig, weil …

ich Teil einer großen Veränderung sein kann. Die Möglichkeiten, die hier geschaffen werden, können medizinische Forschung voranbringen und vielleicht sogar neue Möglichkeiten eröffnen. Und das finde ich wirklich spannend.