Smartes System zur Infektionskontrolle in Kliniken entwickelt

Berlin/Lübeck, 18.12.2020. Als einer der beteiligten Standorte des HiGHmed-Konsortiums der Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) im Mai 2020 eine SNOMED CT-Lizenz erhalten. SNOMED CT ist eine standardisierte Terminologie, mit der medizinische Informationen in Zahlencodes übersetzt und international einheitlich verarbeitet und kommuniziert werden können.

Cora Drenkhahn (Bildquelle: privat)
Cora Drenkhahn, wissenschaftliche Mitarbeiterin im IT Center for Clinical Research, Universität zu Lübeck (Bildquelle: privat)

Die Lizenz wird bis Ende des Jahres von der TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. als National Release Center für SNOMED CT in Deutschland vergeben. Die Lizenzkosten trägt das BMBF. Ab 2021 geht die Lizenz in eine Nationallizenz über, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verwaltet.

Im Interview erklärt Medizininformatikerin Cora Drenkhahn, wie sie und das weitere Team SNOMED CT in ihrer Arbeit im IT Center for Clinical Research am Campus Lübeck einsetzen, um Daten besser auswerten und Forschung und Versorgung verbessern zu können.

Seit wann nutzen Sie SNOMED CT und warum?

Am UKSH nutzen wir SNOMED CT seit Mai 2020 für die Anwendungsfälle des HiGHmed-Konsortiums der MII. Am Campus Lübeck liegt der Schwerpunkt auf dem Anwendungsfall Infektionskontrolle. Wir sind dafür verantwortlich, an unserem Standort das sogenannte "Smart Infection Control System" (SmICS) zu etablieren. Dafür benötigen wir SNOMED CT. Alle universitätsmedizinischen Standorte des HiGHmed-Konsortiums verwenden openEHR, eine offene, standardisierte Spezifikation für klinische Anwendungen. Doch ergänzend zur openEHR-Standardisierung mit einheitlichen Datenstrukturen sind auch einheitliche Begriffe für sprachliche Inhalte, sogenannte Konzepte, erforderlich. Hier kommt SNOMED CT ins Spiel. Mit der standardisierten Terminologie können wir klinikübergreifend und sogar international eindeutige Codes für insgesamt über 300.000 medizinische Sachverhalte verwenden.

Wie soll SmICS die Versorgung verbessern?

SmICS ist ein automatisiertes Frühwarn- und Clustersystem, das mit Hilfe von Algorithmen Häufungen von Erregern, sogenannte Erregercluster, in Krankenhäusern erkennen soll. Das System soll auch multiresistente Keime identifizieren und deren Verbreitung im gesamten Klinikum, innerhalb einer und zwischen einzelnen Stationen erkennen. Das Ziel ist, Infektionsausbrüche und Infektionsketten im Krankenhaus überwachen und verhindern zu können. Das Softwaresystem wird lokal in der Mikrobiologie oder Krankenhaushygiene eingesetzt,  die Daten werden im Datenintegrationszentrum des Klinikstandorts verarbeitet. Grundlage für SmICS sind Patienten- und Erregerdaten sowie Bewegungsdaten von Patientinnen und Patienten. Konkret bedeutet das, dass das System mikrobiologische Befunde aus unterschiedlichen Laborinformationssystemen mit Patienten- und Bewegungsdaten im Datenintegrationszentrum der Klinik zusammenführt. In einem zweiten Schritt wird in dieser Datenmenge auf Basis von lernenden Algorithmen nach Clustern gesucht. Wenn ein Erregercluster in der Klinik auftritt, werden die entsprechenden Hygienefachkräfte durch das System gewarnt. Für Klinikerinnen und Kliniker werden die Daten im SmICS visuell aufbereitet. Auch die Übertragungswege der Erreger können im SmICS nachvollzogen werden.

Wie wird SNOMED CT im Anwendungsfall Infektionskontrolle für SmICS eingesetzt?

In unserem Anwendungsfall Infektionskontrolle geht es vor allem um die standardisierte Bezeichnung von mikrobiellen Infektionserregern, zunächst von Bakterien und Pilzen, die im Krankenhaus zu finden sind. In den mikrobiologischen Befunden der Kliniklabore gibt es dafür unterschiedliche Bezeichnungen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Am UKSH gilt zum Beispiel die Bezeichnung „angns –   anaerobe gramnegative Stäbchen“, an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), einem weiteren HiGHmed-Standort, verwendet man hingegen „5negan – Gramnegatives Stäbchen (anaerob)“. Obwohl hiermit dieselbe Klasse von Erregern gemeint ist, könnten in dieser Form übermittelte Daten nicht einfach zusammengeführt werden. In SNOMED CT gibt es hierzu einen einheitlichen Code inklusive einer Vorzugsbezeichnung: „243386003 - Anaerobic Gram-negative bacillus (organism)“.

Wie werden die lokalen Bezeichnungen in SNOMED CT-Codes übersetzt?

Die Daten aus den lokalen mikrobiologischen IT-Systemen der Klinik werden im Datenintegrationszentrum des UKSH auf SNOMED CT gemappt, das heißt die lokal verwendeten Bezeichnungen werden in die SNOMED CT-Terminologie übersetzt. Damit sind sie vollständig semantisch interoperabel. Bei der Übersetzung der lokalen mikrobiologischen Bezeichnungen in SNOMED CT-Codes arbeiten wir eng mit Expertinnen und Experten aus der Mikrobiologie und der klinischen Versorgung zusammen, um die Codierung interdisziplinär zu validieren. Wir arbeiten aber auch daran, das Mapping in Zukunft direkt in den Primärsystemen der Klinik durchführen zu können. Das wird die maschinelle Auswertbarkeit der Daten deutlich vereinfachen.

Was ist das Besondere an SNOMED CT?

Während mit der LOINC-Terminologie unter anderem die Art des Labortests wie zum Beispiel „PCR-Analyse“ codiert werden kann, können wir mit SNOMED CT nun auch den Erreger selbst im Detail einheitlich bezeichnen. SNOMED CT ist nicht nur eine Terminologie, sondern enthält auch logische Definitionen der bereitgestellten Codes. Wenn man zum Beispiel bereits eine Gruppe von Erregern codiert hat, erkennt SNOMED CT durch die hinterlegte logische Konzepthierarchie mit dieser Gruppe verwandte Erreger. In Zukunft wollen wir diese Funktion gezielt einsetzen. Darüber hinaus wollen wir mit SNOMED CT neben Bakterien zukünftig auch Viren standardisiert beschreiben, insbesondere SARS-CoV-2. Dafür bieten SNOMED CT und LOINC bereits die entsprechenden Codes. Insgesamt ermöglicht uns der Terminologiestandard, Daten in komplexer Weise auszuwerten. Damit bietet SNOMED CT großes Potenzial für die Forschung und Qualitätssicherung.

 

Das Interview führte Sophie Haderer, TMF e.V./MII-Koordinationsstelle.